10 Jahre IKK e.V. – 10 „Plattform-Gesundheit“-Themen

Delegation und Substitution – Brauchen wir immer einen Arzt?

Bilder 11. Plattform Gesundheit

Die 11. Plattform Gesundheit | 8. Oktober 2014 in der Kalkscheune

Mehr Kooperation auf Augenhöhe, weg vom Standesdünkel, hin zur vernetzten Versorgung – und im Mittelpunkt der Patient. Das war das Fazit der 11. Plattform Gesundheit am 8. Oktober 2014. In der Kalkscheune kamen mehr als 130 Gäste zusammen, um über das Thema „Delegation und Substitution – Brauchen wir immer einen Arzt?“ zu diskutierten.

Dr. Roy Kühne, Berichterstatter auch für nichtärztliche Gesundheitsberufe der CDU/CSU-Fraktion, erklärte, dass für den Erfolg von Delegation und Substitution „eine messbare und nachvollziehbare Qualität“ erforderlich sei. Die Zeit sei reif, das Thema voranzubringen, allerdings sei seiner Ansicht nach nicht zuerst der Gesetzgeber gefordert. Vielmehr müssten die Verantwortlichkeiten zwischen den Berufsgruppen in Abhängigkeit von der jeweiligen Kompetenz und Ausbildung geklärt sein. Der demografische Wandel erforderte einen Neuzuschnitt von Aufgaben, so die Aussage von Prof. Dr. Karl-Ludwig Resch, Geschäftsführender Gesellschafter des Deutschen Institutes für Gesundheitsforschung. Im Gegensatz zu Deutschland seien andere europäische Länder bei dem Thema Delegation und Substitution schon erheblich weiter. Für Prof. Dr. Resch sollten internationale Konzepte berücksichtigt und „behutsam“ adaptiert werden, wie beispielsweise der Arztassistent. Modellprojekte seien dabei nur ein „Hilfsmittel“. Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, plädierte für mehr Kooperation als Voraussetzung für Delegation und Substitution. Er kritisierte, es gebe derzeit nur ein „Gegeneinander, kein Miteinander“ unter den Beteiligten.

Referenten und Podiumsgäste

Karl-Heinz Kellermann
Landes- und Bundesvorsitzender des Verbandes für Physikalische Therapie (VPT) e.V.

Dr. Roy Kühne
Berichterstatter für die Themen Heil- und Hilfsmittel und nichtärztliche Gesundheitsberufe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Dr. Ellen Lundershausen
Vizepräsidentin der Landesärztekammer Thüringen

Thomas Meißner
Mitglied des Präsidiums des Deutschen Pflegerates

Prof. Dr. Karl-Ludwig Resch
Geschäftsführender Gesellschafter des Deutschen Instituts für Gesundheitsforschung

Gudrun Schaich-Walch
Staatssekretärin a.D., Friedrich-Ebert-Stiftung

Elisabeth Scharfenberg
Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Karl-Sebastian Schulte
Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks

Dirk-Oliver Heckmann
(Moderator)

Leitfragen der Veranstaltung

  • Welchen Beitrag können Delegation und Substitution für die Sicherstellung einer flächendeckenden ambulanten Versorgung leisten?
  • Wie lassen sich im Interesse einer besseren sektorübergreifenden, arbeitsteiligen Versorgung Hierarchien zwischen Ärzten und nichtärztlichen Gesundheitsberufen überwinden?
  • Unter welchen Voraussetzungen sind ärztliche Leistungen überhaupt übertragbar? Welche Qualitätssicherungsmaßnahmen greifen?
  • Welche neuen Anforderungen müssen an die Aus- und Weiterbildung für die Delegation und Substitution ärztlicher Tätigkeiten an nichtärztliches Personal sowohl im Bereich der Ärzte wie auch der nichtärztlichen Gesundheitsberufe gestellt werden?
  • Wie lässt sich ein zukünftiges Delegationsmodell beschreiben?

Standpunkt

Delegation und Substitution

von Dr. Roy Kühne, MdB

Der Fachkräftemangel zeichnet sich nicht nur bei den Ärzten ab, sondern auch bei den Gesundheitsfachberufen wie im Pflege- oder Therapiebereich. Zusätzlich steigt der Behandlungsbedarf der zunehmend älter werdenden Bevölkerung durch den demografischen Wandel. Es bleibt also aktuell, Lösungen einer verbesserten Teamleistung und Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe mit einer effizienteren Aufgabenteilung wie der Delegation und Substitution zu konzipieren.

Schlummerndes Potenzial

Die nichtärztlichen Gesundheitsberufe haben Potenzial und sollten auch mehr Versorgungsverantwortung erhalten. Hierzulande überzeugen medizinische Fachangestellte, Assistenten oder Pflegepersonal seit Jahren auch in Projekten – wie EVA, AGnES, VERAH, MoNi – bei der Übernahme von Hausbesuchen und Beratung sowie der Erhebung von diagnostischen Parametern mit guten Versorgungsergebnissen und deutlicher Arztentlastung. Auch zwei Modellprojekte mit Physiotherapeuten zur eigenverantwortlichen Behandlungswahl zeigten erste positive Ergebnisse hinsichtlich höherer Therapiewirksamkeit und Patientenzufriedenheit. Im Ausland übernimmt das Pflegepersonal wie in Großbritannien die Versorgung von Patienten mit leichten Erkrankungen, in Schweden Hausbesuche sowie die Medikamentenverordnung. Der Direktzugang der Patienten zu Physiotherapeuten unter anderem in den Niederlanden führt zu schnellerem Behandlungsbeginn, reduzierten Kosten und Krankentagen. Delegation und Substitution sind sinnvoll, mit entsprechender Schulung und Qualifikation der Fachberufe

Politische Aktivitäten

In den letzten Jahren haben wir politisch einiges verändert: 2015 haben wir mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz den Innovationsfonds initiiert, der die Durchführung und Evaluation von innovativen Projekten auch zur Delegation und Substitution finanziell fördern soll. Mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz werden Modellvorhaben für Heilmittelerbringer seit 2017 nun auch länderübergreifend ermöglicht, um bundesweit evaluierbare Ergebnisse zu Behandlungsqualität und Kosteneffizienz zu erhalten. Aktuell ist im Koalitionsvertrag vereinbart, dass eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einen Plan zur Weiterentwicklung der Kooperation der Gesundheitsberufe bis 2020 entwirft.

Fazit: Es muss weiter vorangehen, mehr miteinander agiert und diskutiert werden! In den Modellvorhaben sollten Konzepte auf die noch offenen Fragen der Finanzierung von sektorübergreifenden Leistungen und der Aufteilung der Wirtschaftlichkeitsverantwortung unter den Gesundheitsberufen erprobt werden. Zudem sind rechtliche Anpassungen hinsichtlich der Ausbildung und Haftung vorzunehmen.

Dr. Roy Kühne, MdB ist seit 2013 Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und Berichterstatter für nichtärztliche Gesundheitsberufe der CDU/CSU-Fraktion. Seit 2017 ist er zusätzlich Berichterstatter für die Pflege.

Forderungen des IKK e.V.

Delegation und Substitution

Die Herausforderungen der Versorgung insbesondere im ländlichen Raum machen einen Ausbau von Delegation und auch Substitution von ärztlichen Leistungen notwendig. Angesichts der zunehmenden Spezialisierung der Ärzte, des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung ist es notwendig, aus gewohnten Bahnen auszubrechen. Im Zentrum der Versorgung muss der Teamgedanke stehen, das Team besteht aus ärztlichen, nichtärztlichen, pflegerischen und gesundheitshandwerklichen Berufsgruppen. Der Arztvorbehalt und das Fernbehandlungsverbot sind zu überdenken, um sowohl Substitution als auch Telemedizin möglich zu machen. Die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages vom Mai 2018 in Erfurt sind zu begrüßen.

Ausbildung

Die Ausbildung der Gesundheits- und Pflegeberufe, aber auch der Gesundheitshandwerke ist entsprechend der gezeichneten Entwicklung an die neuen Anforderungen anzupassen.

Kooperation

Mit passgenauen Kooperationen könnten Schnittstellenprobleme im Gesundheitswesen gelöst und die Versorgung der Bevölkerung zukunftsorientiert organisiert werden. Um Kooperationen zu ermöglichen muss der Gesetzgeber klarstellen, in welchen Fällen Kooperationsverbünde im Gesundheitswesen rechtmäßig sind. Das  Antikorruptionsgesetz hatte in seiner Ausgestaltung zu einiger Verunsicherung geführt.

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