Übersicht 10 Jahre IKK e.V. – 10 „Plattform-Gesundheit“-Themen
Aus der Klinik oder der Reha entlassen – und dann allein gelassen? Die historisch bedingten Sektorengrenzen im deutschen Gesundheitswesen galten seit Jahren als stärkste Bremse bei der Verbesserung der Versorgungsqualität. Deshalb nahm der IKK e.V. am 18. März 2015 dieses Thema auf das Tableau seiner 12. Plattform Gesundheit. Unter der Überschrift: „Entlassen und was dann? Von Versorgungsbrüchen zu Behandlungsketten“ diskutierten in der Kalkscheune Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Gesundheitswirtschaft vor mehr als 150 Teilnehmern.
Nach Aussage von Prof. Dr. Dr. Günter Ollenschläger, erster Leiter des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin, war das Thema Schnittstellenmanagement „eines der zentralen Probleme im deutschen Gesundheitswesen“ – mit Auswirkungen auf die Patientenversorgung. Prof. Dr. Michael Sailer, Ärztlicher Direktor des Neurologischen Rehabilitätszentrums Magdeburg, bescheinigte dem Entlassmanagement, dass es „eigentlich ganz gut geregelt“ sei, die Umsetzung in der Realität jedoch hake. Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Hausärzteverbandes, sah einen Grund für die Defizite in den unterschiedlichen Finanzierungssystemen von ambulanter und stationärer Versorgung. Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., forderte die Übertragung von mehr Verantwortung auf die Krankenkassen durch das Versorgungsstärkungsgesetz. Er versprach, die Kassen würden zukünftig den Rechtsanspruch auf Organisation der nachfolgenden Behandlung intensiv wahrnehmen.
Joachim Becker
Leiter der Unterabteilung Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium
Sabine Dittmar, MdB
stellvertretende gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
Dr. Stefan Gronemeyer
leitender Arzt und stellvertretender Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen
Prof. Dr. Dr. Günter Ollenschläger
Institut für Gesundheitsökonomie an der Universität Köln, erster Leiter des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin
Ulrike Reus
Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V., Dezernat Personalwesen und Krankenhausorganisation
Prof. Dr. Michael Sailer
Ärztlicher Direktor Neurologisches Rehabilitationszentrums Magdeburg, Kooperationspartner der Universitätsklinik für Neurologie Magdeburg
Ulrich Weigeldt
Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes
Dirk-Oliver Heckmann
(Moderator)
von Prof. Dr. Dr. Günter Ollenschläger und Philipp Ollenschläger
Die ärztliche Versorgung wird in Deutschland gleichberechtigt in Arztpraxen und in Krankenhäusern gewährleistet. Für den Behandlungserfolg ist wichtig, dass eine enge Abstimmung zwischen den Versorgungsbereichen stattfindet. Dies gilt insbesondere für die Phasen der Krankenhaus-Einweisung und der Krankenhaus-Entlassung. Um die Übergänge möglichst reibungslos zu gestalten, ist die Organisation der sektorenübergreifenden Versorgung essenziell.
Jahrzehntelang diskutierten Ärzte, wie das Schnittstellenmanagement verbessert werden kann. Vor sechs Jahren veröffentlichten Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung dazu eine Checkliste. Seitdem ist eine Menge Spreewasser durchs Regierungsviertel geflossen, und zunächst schien es so, als habe sich, trotz guter Absichten seitens der Politik und der Selbstverwaltung, wenig verändert: Eine Untersuchung des Commonwealth Fund aus dem Jahr 2014, bei der die Gesundheitssysteme von elf Industrienationen verglichen wurden, zeigte, dass hierzulande 41 Prozent der hospitalisierten Personen über 65 Jahren ein mangelhaftes Schnittstellenmanagement erlebt hatten. Deutschland war damit unrühmlicher Spitzenreiter. Einige Gründe: fehlende Standards, mangelnde Kommunikation und unklare Zuständigkeiten.
2015 wurde mit dem Versorgungsstärkungsgesetz endlich die Grundlage für ein standardisiertes Entlassmanagement geschaffen. Danach müssen die Kliniken den Bedarf von Patienten für eine Anschlussversorgung ermitteln und mit der Krankenkasse abstimmen. Zudem dürfen Klinikärzte Arzneimittel, Krankenpflege und Soziotherapie für einen Zeitraum von bis zu sieben Tagen verordnen und die Arbeitsunfähigkeit des Patienten bescheinigen.
Im vergangenen Herbst trat die Neuregelung in Kraft. Viele Krankenhäuser haben ihr Entlassmanagement überarbeitet: Sie ermitteln den individuellen Versorgungsbedarf, nehmen frühzeitig Kontakt zu den weiterbehandelnden Ärzten auf und verteilen Medikationspläne.
Diese Entwicklung ist erfreulich, doch das Problem der häufig unzureichenden Versorgung an den Sektorengrenzen wird damit nicht grundsätzlich gelöst. Möglichkeiten für eine bessere Patientenversorgung liegen vor allem in einer den ambulanten und stationären Bereich übergreifend organisierten Versorgung. Zudem ist es entscheidend, dass Telemedizin systematisch genutzt wird und die Digitalisierung weiter voranschreitet. Die elektronische Patientenakte ist dafür eine wesentliche Voraussetzung.
Prof. Dr. Dr. Günter Ollenschläger leitete von 1995 bis 2014 das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (äzq). Der Internist und Apotheker ist Ehrenvorsitzender des Deutschen Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin.
Philipp Ollenschläger ist Medizinjournalist in Köln.
Der Schutz der Sozialdaten ist ein hohes Gut. Die Versicherten müssen sich auf den Schutz ihrer gesundheitsbezogenen Daten verlassen können und selbstbestimmt über ihre Daten und deren Verwendung entscheiden. Zur effektiven Gestaltung der Versorgung und zur Überbrückung von Schnittstellenproblemen kann aber auch ein Austausch von Daten zwischen Versicherten, Krankenkassen und Leistungserbringern sinnvoll und notwendig sein. So zum Beispiel im Bereich Entlass- oder Krankengeldmanagement. Dabei ist sicherzustellen, dass das Beratungsangebot der Krankenkassen für die Versicherten freiwillig ist und datenschutzrechtliche Bestimmungen einzuhalten sind.
Die gesetzlichen Krankenkassen sollten ausdrücklich legitimiert werden, bezüglich der im SGB V definierten Leistungen eine aktive, individuelle Kommunikation zu ihren Versicherten aufnehmen zu können, die im Sinne des § 1 SGB V zur Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung des Gesundheitszustandes beiträgt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen so angepasst werden, dass den Krankenkassen bei Einwilligung der Versicherten eine stärkere Stellung und Koordinierungsfunktion sowie eine aktive Rolle im Versorgungsmanagement zugewiesen wird.