Übersicht 10 Jahre IKK e.V. – 10 „Plattform-Gesundheit“-Themen
Vor mehr als 120 Teilnehmern diskutierten Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Gesundheitswirtschaft unter der Überschrift „Gestalten oder Verwalten? Zukunftsrolle der Krankenkassen“ in der Kalkscheune. Ein großes Thema der Diskussion: die Aufsichtspraxis gegenüber den Krankenkassen.
Einschnitte in der Bewegungsfreiheit ihrer Kasse beobachtete etwa Bettina am Orde, Geschäftsführerin der Knappschaft. „Wir wollen Versorgung gestalten und werden immer wieder vom BVA ausgebremst“, sagte sie. Auch Dr. Klaus-Dirk Henke, Universitätsprofessor an der TU Berlin, kritisierte die Regulierungswut der Regierung und die unterschiedliche Aufsichtspraxis vom Bundesversicherungsamt (BVA) und den Landesaufsichten. Frank Plate, Präsident des BVA, betonte, dass „der Grad zur Fachaufsicht schmal“ sei. Eine Evaluation der Effizienz der Aufsichtspraxis schlug Peter Kaetsch, Vorstandsvorsitzender der BIG direkt gesund, als ersten Lösungsansatz vor. Dabei hatte Kaetsch nicht nur das BVA im Blick, sondern auch Finanzämter oder Rechnungshof. Er begrüßte, dass die Genehmigungspflicht von Selektivverträgen entfallen ist, kritisierte jedoch die unverhältnismäßig hohe Strafandrohung. Dadurch werde die Innovationsbereitschaft faktisch ausgebremst und im Keim erstickt. Die Praxis von Landes- und Bundesaufsicht zu vereinen – das sah Frank Plate demgegenüber nicht als der richtigen Weg an. „Wenn der Druck allerdings hoch genug ist, wird es sicherlich politische Beschlüsse zur Vereinheitlichung geben“, so Plate weiter. Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., plädierte außerdem für eine starke Selbstverwaltung und begrüßte, dass das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz auf Druck der GKV und der Sozialpartner nun überarbeitet wurde.
Dr. Edgar Franke
Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit, Mitglied SPD-Bundestagsfraktion
Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke
Universitätsprofessor an der TU Berlin, Volkswirt
Peter Kaetsch
Vorstandsvorsitzender der BIG direkt gesund
Maria Klein-Schmeink
Sprecherin für Gesundheitspolitik der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hans-Jürgen Müller
Vorstandsvorsitzender des IKK e.V.
Bettina am Orde
Geschäftsführerin der Knappschaft
Frank Plate
Präsident des Bundesversicherungsamtes
Lutz Stroppe
Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium
Dirk-Oliver Heckmann
(Moderator)
von Lutz Stroppe
Die Versicherten in Deutschland verlassen sich darauf, dass ihnen eine qualitativ gute, gut erreichbare und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft befindliche medizinische und pflegerische Gesundheitsversorgung angeboten wird. Die gesetzlichen Krankenversicherungen bilden eine zentrale Säule unseres Gesundheitswesens, das dieses Versprechen einlöst und für die Bezahlbarkeit unseres Systems sorgen muss. Aufgaben, Kompetenzen und Gestaltungsspielräume der gesetzlichen Krankenkassen haben sich über die letzten Jahrzehnte Schritt für Schritt verändert.
Das so entstandene umfängliche soziale Sicherungssystem wurde immer wieder den aktuellen Herausforderungen angepasst. Heute vertrauen rund 72 Millionen Menschen auf den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist Auftrag und Verpflichtung zugleich. Die gesetzlichen Krankenkassen tragen ein hohes Maß an Verantwortung, die Zukunftsfähigkeit und die Finanzierbarkeit dieses sozialen Sicherungssystems zu gewährleisten.
Die zahlreichen Reformen unseres Gesundheitssystems haben die Weichen dafür gestellt, dass die Krankenkassen viel Gestaltungsspielraum besitzen. Die Versicherten entscheiden mit der Wahl ihrer Kasse auch darüber, wie stark ihren Interessen durch die Leistungen einer Kasse nachgekommen wird:
Krankenkassen sind heute vielfach auch im weiteren Sinne gefragt als Ratgeber in allen Fragen rund um Krankheit und Gesundheit, als Berater in Versorgungsfragen und als Unterstützer in Fällen von Behandlungsfehlern. Hier liegen wichtige Zukunftsaufgaben auch im Wettbewerb.
Eine tragende Rolle kommt den Krankenkassen in der Selbstverwaltung zu. Ihre Aufgabe ist es, Regelungen im Sinne der Versicherten praxisnah mit Leben zu füllen und sich mit den anderen Partnern auf patientenorientierte Lösungen zu verständigen. Im Sinne der Versicherten gibt es für viele zu treffende Entscheidungen im Falle der Nichteinigung Schiedsverfahren. Oft aber gelingt die Einigung, und das ist wichtig. Die Selbstverwaltung hat ihr Schicksal selbst in der Hand und stellt die Weichen ihrer Zukunft selbst, indem sie ihre Kompetenz zur Lösung von Problemen und zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen durch entsprechende Entscheidungen beweist.
Ich bin sicher, dass die Selbstverwalter ihrer Verantwortung für ein leistungsfähiges, gerechtes, finanzierbares und fortschrittliches Gesundheitswesen gerecht werden können und die Krankenkassen starke Partner bleiben bei der Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens auch in Zukunft.
Lutz Stroppe ist seit 2014 Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium. Davor war er ab 2012 Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, wo er schon als Abteilungsleiter tätig war. Viele Jahre leitete er das Büro von Bundeskanzler a.D. Dr. Helmut Kohl.
Die Aufgaben für die Selbstverwaltung werden schwieriger und die Anforderungen immer höher, gleichzeitig greift der Staat immer stärker in dieses austarierte und hochkomplexe System ein. Die soziale Selbstverwaltung benötigt zur Erfüllung ihrer Aufgaben von der Politik aber entsprechende Handlungsspielräume, Vertrauen, Handlungsfähigkeit und Planbarkeit.
Die Vertreter der sozialen Selbstverwaltung verstehen sich auch als Patientenvertreter. Dieses Selbstverständnis gilt es stärker in der Öffentlichkeit bewusst zu machen. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass Selbsthilfeorganisationen und Nichtregierungsorganisationen eine immer breitere gesellschaftliche und politische Bedeutung erhalten. Das muss kein Widerspruch sein. Insoweit sollte überlegt werden, wie mit Patientenvertretern dort, wo sie unabhängig und nicht nur dem Einzelinteresse verpflichtet sind, in den Dialog getreten werden kann. Dies darf aber nicht zu einer Vermischung von Verantwortlichkeiten führen.
Der Gesetzgeber hat der gesetzlichen Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Aufgabe übertragen, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Die Krankenkassen verstehen dies als Auftrag, sich als aktiver Mitgestalter bei der Gesundheitsversorgung ihrer Versicherten einzubringen. Um diese Aufgabe sachgerecht wahrnehmen zu können, ist es erforderlich, die Rolle der Kassen in der Versorgungsoptimierung ihrer Versicherten zu stärken und dazu eine explizite gesetzliche Legitimation zu schaffen.