Von Uwe Deh, Vorstandsvorsitzender der IKK gesund plus
Dringender Handlungsbedarf durch anhaltende Finanzierungsprobleme
Die Notwendigkeit zum Handeln zeigt sich besonders in den anhaltenden Finanzierungsproblemen. In den vergangenen zehn Jahren haben Gesundheitsminister großzügig mit Beitragsgeldern investiert, jedoch ohne die Finanzierungsbasis der GKV nachhaltig zu sichern. Es wurde viel versprochen und viel Geld ausgegeben, doch die Frage, wie diese Ausgaben langfristig getragen werden sollen, blieb unbeantwortet. Diese Politik ist genau eines – Leben über den Verhältnissen. In der Folge stehen die Kassen vor einem massiven Finanzierungsloch und die Wahrnehmung der Menschen ist, dass das Gesundheitswesen zwar teuer, aber nicht besser wird. Letztlich müssen Versicherte und Arbeitgeber die Konsequenzen tragen. Einfach nur die Beiträge erhöhen ist doch keine Lösung. Eine solche Politik ist ungerecht, belastet Wirtschaft und Privathaushalte und stellt einen wachsenden Standortnachteil dar. In einer Zeit, in der die meisten Branchen ohnehin stark unter Druck stehen, drohen die tragenden Säulen unseres Landes durch steigende Gesundheitskosten zusätzlich geschwächt zu werden.
Ursachen statt Symptome angehen: Versicherungsfremde Leistungen
Es ist jetzt an der Zeit, sich den Ursachen der Probleme zu widmen – insbesondere den sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Dabei handelt es sich um staatliche Aufgaben, die auf die Krankenkassen abgewälzt werden, ohne dass eine vollständige Finanzierung erfolgt. Dies stellt einen politischen Missbrauch der Solidargemeinschaft GKV dar. Das Gesamtvolumen dieser versicherungsfremden Leistungen beträgt fast 60 Milliarden Euro[1]. Auch wenn viele dieser Ausgaben aus gesamtgesellschaftlicher Sicht sinnvoll erscheinen, ist ihre Finanzierung über die Beitragszahler weder sozial gerecht noch nachhaltig. Vielmehr handelt es sich um einen „Unsolidaritätszuschlag“, der den Versicherten und Arbeitgebern verdeckt auferlegt wird. Diese Summe überfordert nicht nur die Krankenkassen, sondern letztlich auch die Versicherten. Mit politischem Willen könnte mindestens die Hälfte dieser Kosten durch eine gerechtere Lastenverteilung – etwa durch eine stärkere Finanzierung aus Steuermitteln – oder durch den Abbau unnötiger Leistungen eingespart werden. Hier fehlt es bei den politischen Akteuren jedoch bisher an Verantwortungsbewusstsein und Mut.
Beispiele: Bürgergeldempfänger und weitere Lastenverschiebung
Ein besonders eklatantes Beispiel sind die Ausgaben für Bürgergeldempfänger: Der Staat zahlt den Krankenkassen hierfür lediglich eine Pauschale, die nur etwa ein Drittel der tatsächlichen Kosten deckt. Den Rest müssen die Versicherten tragen. Faktisch verschuldet sich der Bund jedes Jahr mit rund zehn Milliarden Euro bei den Krankenkassen. Es ist überfällig, dass nach zwei gebrochenen Koalitionsverträgen, in denen das Problem gelöst werden sollte, der Sachverhalt nun von der GKV vor Gericht gebracht wird. Dieses Muster – der Staat bestellt, zahlt aber nicht – hat die Krankenversicherungen breit infiziert: Kosten für die Aus- und Weiterbildung von medizinischem Personal, Investitionen in Kliniken (eigentlich Aufgabe der Länder) sowie Ausgaben für Digitaltechnik in Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeschulen werden indirekt auf die Versicherten umgelegt. Diese Praxis ist in keiner anderen Branche zu finden und zeigt, wie dringend Reformen bei Inhalten und Finanzierungsstrukturen der GKV sind.
Leistungsspektrum: Innovationskraft versus Bereinigungsschwäche
Die Gesundheitsversorgung soll modern, zukunftsfähig und angemessen sein. Das Leistungsspektrum der Krankenkassen leidet dabei nicht an mangelnder Innovation; neue Leistungen werden häufig schneller eingeführt als in anderen europäischen Ländern. Allerdings fehlt es an Mechanismen, um veraltete, unangemessene oder gefährliche Leistungen kritisch zu überprüfen und aus dem Katalog zu streichen. Über Jahre wurde der medizinische Leistungskatalog nur erweitert, ohne unwirksame Therapien oder Medikamente zu entfernen. Das ist ineffizient und belastet die Beitragszahler unnötig. Es handelt sich um ein Versorgungs- und Finanzierungsproblem zugleich.
Einnahmeseite: Faire Lastenverteilung und neue Quellen
Auf der Einnahmenseite ist eine gerechtere Beteiligung großer Tech-Unternehmen an den Kosten der Gesundheitsversorgung notwendig. Während kleine und mittelständische Unternehmen zahlreiche Mitarbeiter beschäftigen und entsprechend Beiträge zahlen, erzielen global agierende Unternehmen enorme Wertschöpfung mit vergleichsweise wenigen Beschäftigten. Es ist in diesen 20er Jahren kaum nachvollziehbar, dass die Finanzierung der GKV weiterhin auf den klassischen Erwerbsformen basiert, während neue digitale Geschäftsmodelle nicht einbezogen werden.
Effizienzsteigerung und klare politische Verantwortung
Mehr Effizienz ist nötig und möglich. Dafür muss man Krankenkassen organisieren, verhandeln, einkaufen, wirtschaften und bezahlen lassen. Aktuell müssen sie fast nur zahlen, ohne für die Versicherten wirtschaftlich handeln zu dürfen. Dieses Vorgehen erinnert an das Prinzip der Einzugsermächtigung. Doch wohl kaum jemand würde – bei aller Wertschätzung - seiner Arztpraxis, Apotheke oder seinem Krankenhaus die PIN der eigenen Geldkarte überlassen.
Mutige und wirksame Erneuerung
Vor diesem Hintergrund fordert die IKK gesund plus gemeinsam mit anderen IKKen klare und mutige Reformschritte. Versicherungsfremde Leistungen müssen aus der GKV herausgelöst und gerecht finanziert werden, um die Beitragszahler zu entlasten. Die Krankenkassen dürfen nicht weiterhin als Finanzierungsvehikel für staatliche Aufgaben missbraucht werden. Auftragsgeschäft ja, aber nur bei angemessener Finanzierung. Zudem ist die konsequente Einbeziehung neuer Erwerbs- und digitaler Geschäftsmodelle in die Beitragsbemessung unerlässlich, um den Veränderungen der Arbeitswelt Rechnung zu tragen. Auch die stärkere Nutzung von Lenkungssteuern auf legale Suchtmittel wie Tabak und Alkohol für die Gesundheitsfinanzierung sollte umgesetzt werden. Das würde sowohl Einnahmen generieren als auch einen Beitrag zur Gesundheitsprävention zu leisten.
Appell an die Politik und Dringlichkeit
Der Appell richtet sich an die Politik: Es braucht Realismus, klare Problemanalyse und lösungsorientiertes Handeln. Das IKK-Angebot, Krankenversicherung und Gesundheitsversorgung aktiv mitzugestalten steht. Dafür brauchen wir bessere Spielregeln.
Die Zeit des Abwartens und Taktierens ist vorbei. Wenn die Akteure im Gesundheitswesen, vor allem auf Bundesebene, jetzt nicht handeln, steht das Ergebnis bereits fest: steigende Beiträge, schlechtere Versorgung, negative Auswirkungen auf die Konjunktur und wachsende Unzufriedenheit. Diese Entwicklung ist eine Zeitbombe mit möglichen Explosionsterminen, etwa zum Jahreswechsel bei den Kassenbeiträgen oder zu den Landtagswahlen 2026.
Es ist an der Zeit zu handeln.
1 www.ikk-gesundplus.de/gutachten-versicherungsfremde-leistungen