Liebe Leserin, lieber Leser,
Bundeskanzler Friedrich Merz hat für den Sozialstaat einen „Herbst der Reformen“ angekündigt. Und Reformen sind mit Blick auf unser Gesundheitswesen und den bestehenden Kostendruck dringend notwendig. Aber sind sich die Koalitionäre über die Zielrichtung einig? Auf die vom Bundeskanzler gestellte Frage, ob sich Deutschland den Sozialstaat in seiner derzeitigen Ausgestaltung zukünftig noch leisten könne, hat die Bundesarbeitsministerin zunächst mit einem „Bullshit“ reagiert.
Fest steht: Reformen struktureller Art sind unausweichlich, um die ständig steigenden Leistungsausgaben insbesondere im Arzneimittel- und Krankenhausbereich in Schach zu halten und die sich immer schneller drehende Beitragssatzspirale zu stoppen. Die Krankenhausstrukturreform in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung sowie die Planung einer Primärversorgung gehen hier in die richtige Richtung, greifen jedoch erst langfristig.
Vor diesem Hintergrund ist es dringend notwendig, dass die im Koalitionsvertrag vorgesehenen „FinanzKommission Gesundheit“ nicht erst 2027 Vorschläge erarbeitet, sondern schon kurzfristig Ergebnisse liefert. Leider fehlen die Sozialpartner als Träger der sozialen Selbstverwaltung in der Kommission, obwohl deren Beteiligung im Koalitionsvertrag vorgesehen war. Eine Reformkommission ohne Sozialpartner gleicht einer Energiekommission ohne Versorger. Wer hier die Realität der Versorgung und Finanzierung ausblendet, wird kaum tragfähige Lösungen entwickeln können.
Inhaltlich muss sich die Kommission zu allererst mit der verfassungsrechtlich gebotenen Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen befassen. Denn es ist nicht mehr tragbar, dass die Politik seit Jahren staatliche Aufgaben in Form von versicherungsfremden Leistungen wie u. a. die Finanzierung der digitalen Infrastruktur im Gesundheitswesen, Ausbildungskosten in der Pflege oder die Versorgungsleistungen für Bürgergeldbeziehende auf die Beitragszahlenden abwälzt. Der Vorwurf ist nicht neu, wurde aber auch schon von den Vorgängerregierungen geflissentlich ignoriert. Deshalb ist es folgerichtig, dass die GKV gemeinsam Klage erhebt.
Ein weiterer notwendiger Schritt bis Strukturreformen greifen: Die schnelle Umsetzung eines Ausgabenmoratoriums als kurzfristig wirksame Maßnahme. Ein entsprechender Lösungsvorschlag, der im Rahmen einer Anpassung des § 71 SGB V die Ausgaben wieder an die Einnahmenseite koppelt und damit dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität mehr Schlagkraft verschafft, liegt der Politik bereits vor (siehe auch „Meine Sicht der Dinge“).
Man sieht: An praktikablen und zielführenden Lösungskonzepten, die zu einer schnell spürbaren Entlastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler führen, mangelt es nicht. Die jetzt wieder erhobene Forderung, die Zahl der Krankenkassen zu reduzieren oder der Vorschlag, einen Basistarif einzuführen, sind indes nur ein Ablenkungsmanöver und geht an den eigentlichen Problemen vorbei.
Wer Wettbewerb will, muss auch Wettbewerb zulassen. Und anstatt den GKV-Leistungskatalog quasi durch die Hintertüre um medizinisch notwendige und gebotene Leistungen zu kürzen, wäre es zielführender, den Leistungskatalog auf veraltete, nicht mehr medizinisch gebotene Leistungen zu überprüfen und entsprechend zu bereinigen. Das wäre dann in der Tat einmal ein für die Versicherten medizinisch wie finanziell guter Weg!
Mit besten Grüßen
Hans Peter Wollseifer und Hans-Jürgen Müller