Im Zuge der defizitäre Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden regelmäßig die Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen in die öffentliche Debatte einbezogen. Dabei stehen immer wieder die Anzahl der Krankenkassen, die Höhe der Vorstandsgehälter, Werbeausgaben sowie der Vergleich mit der privaten Krankenversicherung (PKV) im Fokus. So hat jüngst die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) den Sozialversicherungen zu hohe Verwaltungskosten vorgeworfen. Laut BDA-Berechnungen belaufen sich diese jährlich auf rund 25 Milliarden Euro. Die BDA fordert effizientere, d. h. digitale und sparsame Verwaltungsstrukturen, um die Kosten zu reduzieren und Beitragszahler zu entlasten. Eine aktuelle Studie von Deloitte erweckt den Eindruck, dass die GKV durch Digitalisierung und andere Maßnahmen insgesamt acht bis 13 Milliarden Euro einsparen könnte.
Der Newsletter BLIKKWINKEL hat mit Jens Gondolf, Referent für Statistik und Finanzierung der GKV beim IKK e.V., gesprochen, um die Faktenlage zu klären und aktuelle Entwicklungen einzuordnen.
Herr Gondolf, laut einer aktuellen Forsa-Umfrage unterschätzen viele Bürgerinnen und Bürger, wie viel die GKV tatsächlich für Leistungen für die Versicherten ausgibt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Jens Gondolf: Tatsächlich ist das Bewusstsein für die Mittelverwendung in der GKV in der Bevölkerung oft verzerrt. Nur 3 Prozent der Befragten wussten, dass über 90 Prozent der Einnahmen für Leistungen, die den Versicherten zu Gute kommen, ausgegeben werden. Das liegt vermutlich daran, dass Verwaltungsausgaben – etwa durch Medienberichte über Vorstandsgehälter oder Werbekampagnen – stärker wahrgenommen werden als die eigentlichen Leistungsausgaben. Die Realität ist jedoch: In den Jahren 2021 bis 2023 lagen die Leistungsausgaben konstant bei rund 94 Prozent der Einnahmen, 2024 sogar bei 97 Prozent. Verwaltungskosten machen also nur einen sehr geringen Anteil aus.
Es wird häufig behauptet, dass eine geringere Anzahl von Krankenkassen zu niedrigeren Verwaltungskosten führen würde. Können Sie diesen Zusammenhang bestätigen?
Jens Gondolf: Das ist ein verbreiteter Irrglaube. Unsere Analysen zeigen, dass die Verwaltungskosten pro Versicherten nicht von der Größe der Krankenkasse abhängen. Sowohl große als auch kleine Kassen können unterdurchschnittliche Verwaltungskosten aufweisen. Entscheidend ist vielmehr der Betreuungsaufwand, der sich nach der Versichertenstruktur richtet – insbesondere nach dem Krankheitsgeschehen. Versicherte mit komplexeren Krankheitsbildern verursachen mehr Verwaltungsaufwand, unabhängig von der Kassengröße.
Ein weiterer Kritikpunkt sind die angeblich hohen Vorstandsgehälter. Wie groß ist deren Anteil an den Gesamtausgaben wirklich?
Jens Gondolf: Die Diskussion um die Höhe der Vorstandsgehälter ist in der Öffentlichkeit präsent, spielt aber im Kontext der Gesamtausgaben der GKV eine untergeordnete Rolle. Im Jahr 2024 beliefen sich die Gehälter der Vorstände – ohne die betriebsbezogenen BKKn und die landwirtschaftlichen Versicherungen – auf rund 16 Millionen Euro. Das entspricht lediglich 0,1 Prozent der Nettoverwaltungskosten (12.630 Millionen Euro) und nur 0,0049 Prozent der gesamten GKV-Ausgaben (327.409 Millionen Euro). Ungeachtet dessen ist ein weiterer Aspekt die gesetzlich geregelte Anzahl an Vorstandsmitgliedern: Bei Krankenkassen mit bis zu 500.000 Mitgliedern dürfen bis zu zwei Personen im Vorstand sein, ab 500.000 Mitgliedern bis zu drei. Viele kleinere Kassen werden sogar nur von einer Person geführt. Im Falle von Fusionen kann es daher vorkommen, dass durch das Überschreiten der Mitgliedergrenzen die Anzahl der Vorstände nicht reduziert, sondern im Zweifel sogar gleichbleibt. Die erhofften Einsparungen durch eine Reduzierung der Vorstandsgehälter sind daher in der Praxis sehr begrenzt.
Auch die Werbeausgaben der GKV stehen immer wieder in der Kritik. Wie bewerten Sie deren Bedeutung im Gesamtkontext?
Jens Gondolf: Die gesamten Werbekosten der GKV lagen im Jahr 2024 bei 225 Millionen Euro, einschließlich der anteiligen Kosten für Krankenkassenverbände. Das entspricht 1,78 Prozent der Verwaltungsausgaben bzw. lediglich 0,07 Prozent der Gesamtausgaben der GKV. Zum Vergleich: Die Personalkosten machen 84 Prozent der Verwaltungsausgaben aus, was wiederum nur 3 Prozent der GKV-Gesamtausgaben entspricht. Die Werbeausgaben sind also im Verhältnis sehr gering. Hinzu kommt eine gesetzliche Begrenzung: Krankenkassen dürfen maximal 0,15 Prozent der monatlichen Bezugsgröße pro Jahr und Mitglied für Werbemaßnahmen ausgeben. Für das Jahr 2024 entspricht dies 5,30 Euro je Mitglied. Bei insgesamt 58,5 Millionen Mitgliedern bleibt die GKV damit sogar unter dem gesetzlich erlaubten Rahmen und agiert insgesamt sparsamer, als es der Gesetzgeber zulässt.
Wie steht es um den oft zitierten Vergleich zwischen GKV und PKV hinsichtlich der Verwaltungskosten?
Jens Gondolf: Der Vergleich ist differenziert zu betrachten. In der PKV werden neben den reinen Verwaltungskosten auch Abschlusskosten – etwa für Provisionen und Außendienst – ausgewiesen. Zusammengenommen lagen diese 2023 in der PKV bei 9,3 Prozent der Einnahmen, während die Verwaltungskosten in der GKV bei 4,1 Prozent lagen. Zudem ist der Anteil der Verwaltungskosten in der GKV seit Jahren rückläufig, während er in der PKV zuletzt wieder gestiegen ist. Der Wettbewerb in der GKV findet zudem über Zusatzleistungen und -beiträge statt, nicht über Vertreter oder Makler.
Oft wird auf internationale Beispiele verwiesen, etwa auf die Kassenfusion in Österreich. Was lässt sich daraus für Deutschland ableiten?
Jens Gondolf: In Österreich wurde 2020 die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) durch eine große Fusion geschaffen. Das Ziel: Verwaltungskosten senken. Die Bilanz nach fünf Jahren zeigt jedoch: Die Verwaltungskosten sind um 28,6 Prozent gestiegen, was etwa der Inflation entspricht. In Deutschland hingegen stiegen die Verwaltungskosten im gleichen Zeitraum nur um 7 Prozent, bei einer Inflation von 19,3 Prozent. Das zeigt, dass Kassenfusionen nicht automatisch zu Einsparungen führen – im Gegenteil, sie können sogar zu Mehrkosten führen.
Vielen Dank für das Gespräch und die Einordnung der Fakten!
Hinweis: Die im Interview genannten Zahlen und Vergleiche beruhen auf aktuellen Veröffentlichungen des Bundesministeriums für Gesundheit, des GKV-Spitzenverbandes sowie auf Auswertungen des IKK e.V. und öffentlich zugänglichen Geschäftsberichten privater Versicherungsunternehmen.