10. Plattform Gesundheit: „Von der Gesundheitsreform 2007 zur Großen Koalition”

Rückblick auf die Veranstlatung am 19. März 2014

Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., Hilde Mattheis, Gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V. (v.l.n.r.)

Die Ziele der Gesundheitsreform 2007 durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) waren ehrgeizig. Effizienter sollte das Gesundheitssystem werden, mehr Wettbewerb zwischen den Kassen stattfinden. Sieben Jahre später ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Der Koalitionsvertrag der neuen Großen Koalition bietet dafür die Basis: Welchen Einfluss haben die verstärkten Wettbewerbselemente wie Selektivverträge auf die Versorgung? Haben sich die Hoffnung mit der Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG auf eine evidenzbasierte Medizin erfüllt? Konnte mit der Gründung des GKV-SV und der Kompetenzausweitung des G-BA der gesundheitspolitische Dialog verbessert werden? Mehr als 150 Teilnehmer aus Politik, Gesundheitswirtschaft und Krankenversicherung diskutierten am 19. März 2014 in der Berliner Kalkscheune das Thema.

„Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz hat neue Türen aufgestoßen“, sagte Klaus Vater, ehemaliger Leiter der Kommunikation im Bundesgesundheitsministerium. Für ihn sei es das „eigentliche Agenda-Gesetz des vergangenen Jahrzehnts“ gewesen, aber auch gleichzeitig das „schwierigste Gesetz der Großen Koalition“. Viele Konflikte waren zu bewältigen. Vater: „Es war die Zeit des Schlechtredens der Leistungen“. Sein Resümee: „Schmeckt nicht jedem, hilft aber.“

 

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Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hilde Mattheis, erinnerte sich an eine „sehr konfliktträchtige Diskussion“ über die Gesundheitsreform. Mattheis: „Wir waren sehr beansprucht durch das SPD-geführte Bundesgesundheitsministerium“. Aus heutiger Sicht würde sich doch „so manches verklären“. Sie resümiert, dass jede Reform ein „lernendes System“ sei. Als Beispiel nannte sie den Risikostrukturausgleich, der „immer während überprüft und angepasst“ werden müsse. Dabei seien die Auswirkungen auf die „Kassen und Kassenfamilien“ zu berücksichtigen. Auch das Thema Qualität hat für die SPD-Politikerin einen hohen Stellenwert. „Wir sind ungeduldig, wenn es um die Gründung des neuen Institutes geht“, so Mattheis.  Die SPD-Politikerin kündigte bei der 10. Plattform auch an: „Das Präventionsgesetz soll 2014 kommen." Aus ihrer Sicht ist die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD „nur so mächtig, wie sie den Nerv des gesellschaftlichen Bedarfs trifft“. Und deshalb forderte sie: „Ich wünsche mir die aktive Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte – kritisch, aber konstruktiv.“

Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., wies darauf hin, dass die Große Koalition vor sieben Jahren „gewissermaßen den Grundstein für den IKK e.V. gelegt hat.“ Die Gesundheitsreform 2007 habe Krankenkassen und ihre Verbände sowie Leistungserbringer „tüchtig durchgerüttelt“. Denn das Gesetz habe die Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung hin zu wettbewerblichen Strukturen entscheidend weitergeführt. Kompetenzen seien erweitert worden, Aufgaben beschnitten bzw. neu geordnet, wie bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen. „Vor allem aber hielt die Gesundheitsökonomie Einzug“, so Wollseifer. Und der Staat habe sich einen „stärkeren Zugriff auf das Gesundheitswesen gesichert“.

Professor Dr. Eberhard Wille, Mitglied des Sachverständigenrates Gesundheit, kritisierte die mit der Gesundheitsreform 2007 eingeführten Zusatzbeiträge: „Ich bin ein Befürworter von Pauschalen“. Er gibt jedoch zu Bedenken, dass die Zusatzbeiträge von Anfang an als Zeichen für Unwirtschaftlichkeit diskreditiert worden seien. Für ein wettbewerbliches Agieren der Kassen gebe es nur wenig Spielraum: „Den Kassen stehen durchschnittlich fünf bis sechs Prozent variable Ausgaben zur Verfügung“, so Wille. Er forderte mehr Wettbewerb durch Konzepte, die „sektorübergreifend und populationsorientiert“ sind. Ambulant und stationäre Versorgung müssten mehr miteinander verzahnt werden und nicht – wie derzeit – isoliert agieren.

Für Dr. Leonhard Hansen, ehemaliger Vorstand der KV Nordrhein und seit 35 Jahren Hausarzt, hat die Gesundheitsreform 2007 „durchaus der medizinischen Versorgung geholfen“. Er nennt die Modelle der Integrierten Versorgung und Disease-Management-Programme. Dass die Integrierte Versorgung nicht laufe, liegt nach Aussage von Hansen daran, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen hier außen vor bleiben mussten. Nach Ansicht von Hansen ist das Gesundheitssystem in Deutschland „nicht für den Wettbewerb geschaffen“, weil er für Ungleichheit sorgt. Dem widersprach die ehemalige gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Biggi Bender: „Die Gleichheit im Kollektiv ist die Gleichheit an Armut von Ideen.“ Für Bender sollten die Krankenkassen „die Freiheit haben“, separate Verträge mit Leistungserbringern zu schließen. Dabei müssen sie selbst entscheiden, wie viel Geld dafür seitens der Kasse in die Hand genommen werde.

Michael Hennrich, Mitglied des Gesundheitsausschusses für die CDU/CSU-Fraktion, zog sieben Jahre nach der Gesundheitsreform 2007 „eine gemischte Bilanz“. Die Einführung der Zusatzbeiträge hat nach seiner Aussage „Sinn gemacht“, der Gesundheitsfonds barg „viele Unsicherheiten“. Jetzt habe man notwendige Korrekturen vorgenommen. Er sprach sich ebenso für Selektivverträge aus. Dort könne die Qualität besser abgebildet werden als im Kollektivvertrag.

Die Reform 2007 hat nach Aussage von Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, „Licht und Schatten“. Eine Absage erteilte er den Zusatzbeiträgen. „Keine Kasse  nimmt Geld für ein integriertes Versorgungsprogramm in die Hand, wenn sie fürchten muss, durch die Erhebung eines Zusatzbeitrages vom Markt zu verschwinden“, so Kiefer. Um die medizinische Versorgung bundesweit in den Griff zu bekommen, forderte Kiefer ein Miteinander von Kommunen, Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen.

Sieben Jahre nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, resümiert der Geschäftsführer des IKK e.V., Jürgen Hohnl, konnten die neu eingeführten Strukturen nicht die Grundkonflikte in der gemeinsamen Selbstverwaltung lösen. „Entscheidungsprozesse laufen deshalb auch jetzt noch schleppend.“  Hemmend ist dabei aus seiner Sicht auch, das Ungleichgewicht zwischen zentraler Rahmensetzung  und überflüssiger Detailregelung mit den entsprechenden Auswirkungen auf das Aufsichtshandeln. Alle, die an der Gesundheitsversorgung mitwirken, müssten sich aus seiner Sicht bewegen: „Wenn jeder auf seiner Seite bleibt, kommen wir nicht weiter. Wir müssen aber unseren Auftrag gerecht werden: Die Versorgung der Patienten zu sichern.“

 

Bildergalerie der 10. Plattform Gesundheit

Einen kleinen Eindruck von der 10. Plattform Gesundheit zum Thema „Von der Gesundheitsreform 2007 zur Großen Koalition: Gesundheitspolitik als Placebo oder bittere Medizin?“ erhalten Sie hier in unserer Bildergalerie. Die Fotos können Sie sich auch gern als Diashow ansehen.

 

Dokumentation

Wir haben für Sie via Twitter parallel von der Veranstaltung berichtet. Die Tweets finden Sie unter @ikk_ev.

Hier können Sie die einführenden Worte von Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., herunterladen. Wenn Sie sich für den Vortrag von Prof. Dr. Eberhard Wille interessieren, bitte schreiben Sie uns eine E-Mail:

Der IKK e.V. ist die Interessenvertretung von Innungskrankenkassen auf Bundesebene. Der Verein wurde 2008 gegründet mit dem Ziel, die Interessen seiner Mitglieder und deren 5,1 Millionen Versicherten gegenüber allen wesentlichen Beteiligten des Gesundheitswesens zu vertreten.