Finanzierung der GKV – Quo vadis?

Gespannt hat die GKV-Welt im Dezember auf die Bilanz des Bundesgesundheitsministeriums für 2023 und den Ausblick auf 2024 gewartet. Am 15. Dezember war es dann soweit. Als Erfolge wurden sieben Gesetzgebungsverfahren ausgewalzt – ursprünglich waren deutlich mehr Gesetze für 2023 angekündigt. Beim Ausblick auf dieses Jahr verwies das BMG stolz auf 15 Gesetzesvorhaben. Doch stach dabei eines ins Auge: Die Finanzierungsreform schien von der politischen Agenda verschwunden, zumindest bis vergangenen Donnerstag. An diesem Tag veröffentlichte das BMG die seit 31. Mai vergangenen Jahres ausstehenden Eckpunkte für eine Reform.

Nun sagt man ja: Was lange währt wird endlich gut! Doch mit Blick auf das nun vorliegende Papier kommen Zweifel. Sind das wegweisende Maßnahmen? Die Streichung der Homöopathie? Wohl kaum, denn die ist mit Blick auf die Gesamtausgaben eine finanzielle Marginalie. Sie dürfte irgendwo im unteren zwei bis einstelligen Millionenbereich liegen oder, anders gesagt, bei rund 0,00056 Beitragssatzpunkte! Einnahmenseitig stellt das Eckpunktepapier einen dynamisierten Bundeszuschuss sowie eine Refinanzierung der Beiträge der Bürgergeldbeziehenden in Aussicht – jedoch mit dem Hinweis der Umsetzung, wenn es die haushaltspolitischen Rahmenbedingen es zulasse. Heißt im Klartext: Statt solider, innovativer Vorschläge werden im Eckpunktepapier Gesetze mit dem Impetus einer nachhaltigen Finanzierung gerechtfertigt und Koalitionsversprechen mit dem Verweis auf die wirtschaftliche Haushaltslage verschoben – wohl in die nächste Legislatur.

Währenddessen wird die Belastung der Beitragszahler, also der Versicherten und Arbeitgebenden, wie die der lohnintensiven Wirtschaftsbereiche wie das Handwerk immer höher. Abzulesen ist das an den zum Jahreswechsel getroffenen Entscheidungen der Kassen zu den Zusatzbeiträgen. Im November hat das BMG den durchschnittlichen Zusatzbeitrag um 0,1 Prozentpunkte erhöht. Aber schon da war klar, dass noch keine der aus den anstehenden Reformen zu erwartenden Kosten eingepreist waren – so sind die Regeln im GKV-Schätzerkreis. Nach der Veröffentlichung der KV-45 Zahlen aus dem 3. Quartal hat sich aber gezeigt: Schon jetzt ist davon auszugehen, dass das Jahr 2023 mit einem höheren Defizit abschließen wird als vom Schätzerkreis eigentlich erwartet.

Die Meldungen der einzelnen Kassen zeigen ein Gesamtbild der finanziellen Situation der GKV – und das ist wenig erfreulich. Viele Zusatzbeiträge steigen zum Jahreswechsel nicht nur um die durchschnittlich erwarteten 0,1 Prozentpunkte. Stattdessen gibt es zum Teil drastische Steigerungen. Woran liegt das? Mit Blick auf die im Nachgang verbesserte Entwicklung im Jahr 2022 hat der GKV-Schätzerkreis die Risiken offenbar unterschätzt. Zusätzlich ist der Schätzerkreis noch von einer Verteilung der Leistungsausgaben auf die einzelnen Quartale wie in den Vorjahren ausgegangen. Das war ein Trugschluss mit Folgen für den Kassenwettbewerb.

Ursprünglich war die Gestaltung des Zusatzbeitrages als Wettbewerbsinstrument für die GKV gedacht: Kassen, die mit den Beitragsgeldern sparsam umzugehen wussten, sollten einen geringeren Zusatzbeitrag erheben müssen und damit attraktiver sein als die anderen Kassen. Doch diese Funktion als Instrument der Wettbewerbsgestaltung hat der Zusatzbeitrag längst eingebüßt. Heute resultieren die Zuwächse bei den Zusatzbeiträgen nicht aus dem sparsamen Wirtschaften mit den Beitragsgeldern, sondern aus verschleppten Reformen und nicht eingehaltenen Versprechen der Politik, wie etwa die ausstehende Erhöhung der Beiträge für Bürgergeldbeziehende.

Aus diesem Grunde bemühten sich die Kassenartenverbände mit einem gemeinsamen Schreiben an die Gesundheits- und Finanzpolitiker der Fraktionen im August 2023, die auf den Zusatzbeitrag abgewälzten Kostenzuwächse durch eine grundsätzliche Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes aus dem Kassenwettbewerb herauszunehmen. Die Antwort des Bundesgesundheitsministers darauf war lapidar. Eine solche Anhebung des allgemeinen anstelle des Zusatzbeitragssatzes sei nicht vorgesehen und für den Versicherten zudem unerheblich. Darüber hinaus würden die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, sobald es die haushaltspolitischen Rahmenbedingungen zulassen würden.

Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November 2023 hat zwar auf die Finanzlage der Kassen keinen unmittelbaren Einfluss. Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums blieb trotz Spardiktat aus dem Bundesfinanzministerium unangetastet. Aber gleichzeitig ist klar, dass mit dem Urteil die wichtigen Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag – neben der Anhebung der Pauschalen für die Bürgergeldbeziehenden vor allem die Dynamisierung des Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds – in noch weitere Ferne gerückt sind. „Sobald“ wird man dann wohl mit „in dieser Legislatur nicht mehr“ übersetzen können.

Das größte Problem wird dieses Jahr werden, dass die Finanzwirkungen ausstehender Reformen vollkommen ungewiss sind. Etwa die Auswirkungen der anstehenden Krankenhausreform. Sicher ist schon jetzt, dass allen voran die geforderte Bereitstellung eines Transformationsfonds zum Umbau der Krankenhauslandschaft teuer werden wird. Wer soll diesen Fonds finanzieren? Unklar. Im Zweifel also wird er – wie immer – über die Beitragszahlungen der Versicherten und Arbeitgeber gegenfinanziert werden, obwohl der Umbau der Strukturen eigentlich in der Finanzierungsverantwortung der Länder liegen würde. Noch behält der Bundesgesundheitsminister hier die Nerven und hält daran fest, dass es zu keiner Mehrbelastung kommen darf. Gut so, denn die Abwälzung von Belastungen aus dem Bundeshaushalt in die Sozial- bzw. Krankenversicherung kann nicht das dauerhafte Konzept der Bundesregierung sein!

Die Politik sollte dringend ihrer Finanzierungsverantwortung nachkommen und nicht den Kopf in den Sand stecken, in der Hoffnung, „die Kassen werden es schon richten“. Stattdessen ist eine nachhaltige, solide Finanzierungsreform für das Gesundheitssystems geboten, die über kleinteilige Ausgabenmaßnahmen und lediglich in Aussicht gestellte Einnahmen hinausgeht. An Ideen hingegen mangelt es nicht. So haben die Innungskrankenkassen schon 2022/2023 Punkte für eine einnahmen- und ausgabenseitige Reform vorgelegt. Einnahmeseitig sehen die IKKn drei Bausteine vor: Die Nachjustierung und Dynamisierung des Bundeszuschusses für den Ausgleich versicherungsfremder Leistungen, die Verbreiterung der Einnahmebasis der GKV durch eine Beteiligung der GKV an gesundheits- bzw. umweltbezogenen Lenkungssteuern in Form einer Sonderabgabe sowie der Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell durch Beteiligung der Digital- bzw. Plattformökonomie an den Kosten der Sozialversicherung. Ausgabenseitig zielen die Innungskrankenkassen auf Steuerungs- und Lenkungsoptionen für die Kassen zur konkreten Versorgung ihrer Versicherten ab. Für eine effiziente und gute Leistungserbringung bedarf es einer stärkeren Steuerungsoption, um Patientinnen und Patienten im Krankheitsfall besser unterstützen zu können. Hier setzen die Innungskrankenkassen unter anderem auf die hausarztzentrierte Versorgung (HzV), aber auch auf die sich durch einen konsequenten Einsatz von Telemedizin ergebenden Möglichkeiten.

Apropos Verlässlichkeit: Diese ist 2024 nicht nur im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung, sondern angesichts der dieses Jahr anstehenden Landtagswahlen, der Teil-Wahlwiederholung in Berlin sowie auch der Europawahl im Sommer für ganz Deutschland wichtig. Denn es geht nicht mehr und nicht weniger als um die Festigung und den Erhalt unserer demokratischen Werte angesichts eines zunehmend schwindenden politischen Vertrauens in der Bevölkerung. Das muss unser aller Anliegen sein.