Kernthema: Strukturelle Schwächen der Versorgung beheben

Was uns wichtig ist

Anselm Lotz, arbeitgeberseitiger Verwaltungsratsvorsitzender der IKK Brandenburg und Berlin, zu den erforderlichen Schritten, um die strukturellen Schwächen der Vorsorgung zu beheben.

Mit dem Patientenrechtegesetz wurde 2013 ein wichtiger Meilenstein für eine selbstbestimmte Rolle des Patienten in der Gesundheitsversorgung gelegt. Doch angesichts eines immer stärker an Komplexität gewinnenden Systems bleibt weiterhin viel zu tun. Versicherte und Patienten müssen daher in die Lage versetzt werden, die ihre Gesundheit betreffenden Entscheidungen zu verstehen und damit kompetent zu treffen. Dafür benötigen sie transparente Prozesse und Vergleichsmöglichkeiten sowie verbindliche Regelungen, die sie vor Schaden schützen.

  • Eine bundesländerübergreifende Krankenhausplanung ist zu ermöglichen: Entwicklung einer gesetzlichen Grundlage für länderübergreifende Gestaltungsansätze, um die Zuständigkeiten der Bundesländer für die Krankenhausplanung zu erweitern.
  • Die Spezialisierung und Standortkonzentration von Kliniken gilt es voranzutreiben.
  • Die gesetzlichen Verpflichtungen der Länder, sich an den Investitionskosten für Krankenhäuser zu beteiligen, gilt es umzusetzen; aufgrund der Erfahrungen in der Corona-Pandemie muss zudem die finanzielle Beteiligung der Länder erweitert werden.
  • Es bedarf einer angemessenen Personalausstattung in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zur Sicherstellung der qualifizierten Patientenbetreuung vorrangig mit eigenem Personal.
  • Schaffung von „Gesundheitszentren im ländlichen Raum“, um die Versorgung mit Basis- und Notfallleistungen sowohl ambulant wie stationär in dünnbesiedelten Gebieten zu sichern.
  • Die Attraktivität der Niederlassung für Vertragsärzte auf dem Land sowie der weitere Ausbau von Telemedizin und Fernbehandlung ist zu stärken.
  • Die Bedarfsplanung im psychotherapeutischen Bereich ist weiterzuentwickeln, um eine angemessene psychotherapeutische Versorgung zu ermöglichen.
  • Einführung von kostenträgerübergreifender Tele- und Videoberatung gemeinsam mit den Leistungserbringern im Rahmen der ganzheitlichen Versorgungsbedarfsermittlung nach dem SGB IX – insbesondere im Zusammenhang mit Leistungen in der Pflege, Hilfsmittelversorgung und komplexen Versorgungssituationen als „virtuelle Versorgungskonferenz“.
  • Evidenz als Kriterium einer zukunftsorientierten Behandlung ist zu etablieren (Bestandsschutz), d. h. konsequente Evidenzorientierung bei Diagnose und Therapie sowie Identifikation und Vermeidung überflüssiger und unwirksamer Behandlungen. Unterstützung und Förderung der Kampagne „Gemeinsam kluge Entscheidungen treffen“ („Choosing Wisely“) zur Verringerung von Über- und Fehlversorgung.

  • Es sind neue Ansätze zur sektorenübergreifenden Versorgung zu finden, z. B. sollte die Planung für Krankenhäuser nicht isoliert nach Betten, sondern nach Leistungen über Sektorengrenzen hinweg vollzogen werden.
  • Die Bedarfsplanung ist sektorenübergreifend auszugestalten.
  • Stärkung einer hausarztzentrierten Versorgung als Element einer guten und effizienten Leistungserbringung.
  • Bekenntnis zum eigenständigen Versorgungsbereich der Psychotherapie: Die Erweiterung der Richtlinientherapie um den systemischen Ansatz war folgerichtig. Eine evidenzbasierte Bewertung aller Richtlinienverfahren ist notwendig.

  • Noch immer bestehende Schranken zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Leistungserbringern müssen überwunden werden. Hierzu ist auch eine telemedizinische Vernetzung notwendig.
  • Entlastung ärztlicher Strukturen: Die Aufgabenteilung zwischen Ärzten und nichtärztlichen Berufsgruppen entsprechend deren Kompetenz muss geändert werden.
  • Es ist mehr Verantwortung auf nichtmedizinische Fachberufe (Blankorezept, Modellvorhaben Direktzugang) und Gesundheitshandwerker (z. B. orthopädische Heilmittelerbringer) bei gleichzeitiger Budgetverantwortung zu übertragen.
  • Rechtliche Absicherung von Kooperationen; kein strafrechtlicher Generalverdacht der Korruption.
  • Eine zielführende Akademisierung bei gleichzeitiger Unterstützung nicht akademischer Gesundheitsfachberufe (auch ohne Abitur) gilt es anzustreben.

  • Innovation braucht Verbindlichkeit: Daher in allen Innovationsbereichen klare und verbindliche Regelungen zur zeitnahen Überführung von Innovationen in die Regelversorgung, sobald ein entsprechender Wirksamkeitsnachweis vorliegt.
  • Es sind Gestaltungsräume für Kassen zur Erprobung der Verordnung digitaler Gesundheitsanwendungen durch Heilmittelerbringer zu schaffen.

  • Eine Reform der Rechnungsprüfung im stationären Bereich gemäß den Anforderungen des Prüfberichtes des Bundesrechnungshofes ist notwendig.
  • Abrechnungsprüfungen (insbesondere die Prüfung durch die Medizinischen Dienste) erweisen sich aktuell als unübersichtlich und zeitaufwendig und setzen falsche Anreize durch prüfungsfreie Leistungen (Quote bzw. Prüfungsausschluss). Hier ist eine bürokratiearme und effektivere Variante zu schaffen, die eine korrekte Abrechnung gewährleistet.
  • Eine Änderung des bestehenden DRG-Vergütungssystems: Die Komplexität sollte abgebaut werden, ohne dass neue Abgrenzungsprobleme erzeugt werden.

  • Eine Zusammenarbeit und Kooperation auf europäischer Ebene wird begrüßt: wie z. B. im Rahmen europäischer Referenznetzwerke zur Behandlung seltener Erkrankungen, grenzüberschreitender Versorgung oder auch bei der europäische Zulassung von Arzneimitteln bis hin zu einer einheitlichen Pandemiestrategie.
  • Nationale Kompetenzen in sozialen Sicherungssystemen müssen dennoch, wie z. B. im Bereich der Zulassung von Medizinprodukten (Health Technology Assessment-Verfahren – HTA-Verfahren) oder auch bei der Versorgungsgestaltung, gewahrt bleiben.

  • Ethische Fragen – wie z. B. zur Palliativmedizin, Hospiz- und Sterbebegleitung – bedürfen der breiten Diskussion in der Bevölkerung und im Bundestag; rechtliche bzw. höchstrichterliche Entscheidungen sind von der Politik zeitnah umzusetzen.
  • Die Würde des Menschen ist in allen Gesundheitsbereichen – gerade auch im Hinblick auf die Erfahrungen in der Corona-Pandemie (z. B. Besuchsverbot in Alten- und Pflegeheimen) – zu gewährleisten.

720.000 Patient:innen mit chronischen Erkrankungen sind in Deutschland laut einschlägigen Studien auf Unterstützung beim Management ihrer medizinischen Versorgung angewiesen. Beispielhaft hier ist das PIKKO-Projekt, ein innovatives saarländisches Gemeinschaftsprojekt, an dem die IKK Südwest beteiligt ist. Unter anderem unterstützt das Projekt, das aus dem Innovationsfonds gefördert wird, hier mit der Bereitstellung von Patientenlotsen bei chronischen Erkrankungen.

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